über: poe.sie

1. räumliches schreiben

texte entstehen in den unterschiedlichsten situationen. notwendig ist allenthalben ein innerer raum. und leider viel zu selten vorhanden. das kann zu hause am schreibtisch mit einer bestimmten musik im hintergrund sein. das war oftmals während des germanistik-studiums der vorlesungssaal. während der professor seine weisen theorien auf uns herabschleuderte, mich aber viel mehr das interessierte, was zwischen seinen worten schwieg. und sei es das faszinosum, dass vor dem fenster des alten schlosses inzwischen einfach so das wasser eingefroren war. welch ein spiel der natur mit uns.

2. schweigende sprache

inspirierend ist eine bestimmte atmosphäre. eine synenergie, die entsteht, wenn menschen aufeinandertreffen. ein unabdingbares hilfsmittel ist die paradoxie. sprache muss provozieren, um zur kommunikation zu werden. schreiben, um nicht sprechen zu müssen. das schreiben kommt ehrlicher daher als das gesprochene wort. vielleicht auch deswegen, weil bei einer gelesenen zeile der andere sich zeit nehmen kann, darauf zu reagieren. das gesprochene wort ist schneller, hält sich an zu viele konventionen. begleitet von einem lächeln interpretieren wir dem anderen ein, was er zu denken hat. ich lasse sie lieber alleine. sie werden mich schon finden. und - wenn sie mögen - in ihrer reaktion selbst erkennen lassen.

3. versmesse

was für eine chance hat unsere generation, gehör zu finden, wenn wir nicht versuchen, die herkömmlichkeit der wortform zu zerbrechen? in einer zerbrochenen welt erscheint es mir unmöglich, das glatte versmaß zu propagieren. ironie will gezielt getroffen werden. der schönheit wurde ein strich durch die rechnung gemacht. ästhetik lügt in ihrer ganzen verlockung unserer sinne. sehen sie dem unsinn ins auge: der wundersame beginn unserer existenz ist der unaufhaltsame weg ins verwesen. nicht nur die raucher unter uns verherrlichen ihre asche. nehmen sie sich eine blumenvase und fühlen sie sich gott nahe. aber lassen sie das gießen!

4. salvador dali - von den bildern lernen

schreiben, um sich zu finden. das einzig feste im drehgestell des täglichen sterbens. die surrealisten haben es in der bildenden kunst vorgemacht. das unbewusste als zentraler ort jeglicher kreativität. es schreibt aus mir. diese texte sind aber in der regel in diversen schubladen verschlossen. es reicht, wenn der text mit mir kommuniziert. ich bin mein leser und lasse mich mal überraschen, was ich mir zu sagen habe. schreiben statt träumen. erkennen ohne zu wissen.

die welt braucht keine gedichte, und dichter verändern die welt nicht. sie versuchen nur einen moment länger zu überleben, als es ihnen ihr auge erlauben würde.

5. gesell schafft.

was ist normal. was ist norm. sprache ist ein spiel. wir haben uns darauf verständigt. völlig fasziniert kann ich an manchen tagen auf der straße beobachten, wie einfach wir menschen uns verstehen. nehmen sie den autofahrer. bestimmte blinkzeichen und die community der straßenbenutzer fühlt sich in der masse aufgehoben. klar, in deutschland ist man nie wirklich sicher, dass die verständigen nicht auch ein diebisches vergnügen daran empfinden, das verständnis zu brechen und einfach über einen dieser fleischigen körper drüber zu fahren. vielleicht einfach so. aus erfahrungsmangel. oder aus miss/verständnis. das ist eine frage, die otto schily nächtens umtreibt.

6. sprache bricht wirklichkeit

watzlawick fragte nicht zu unrecht: "wie wirklich ist die wirklichkeit"? nietzsche sprach von der umwertung der werte und wurde daraufhin leider ins völlige unverstehen verkauft. sagen sie, wann verstehen wir uns eigentlich? wenn sie glauben, dass sie das gleiche denken, wenn sie glauben, dass sie das gleiche sehen, wenn sie glauben, dass sie das gleiche fühlen? wie wer? oder doch dasselbe? wenn grün grün ist? aber ist grün grün? nein. grün ist blau mit gelb. da sich mein gehirn dazu entschieden hat, mit nur einem auge in die welt zu starren, sehe ich ein halberes blau als sie. wetten? orientiert sich verstehen am minimalkonsens? welche rolle spielt sprache eigentlich? wie einfach es ist, wirklichkeit zu definieren, machen uns die religionen täglich vor.

sprechen wir (miteinander), um (uns) zu beweisen, dass wir noch leben.

7. medien macht

sehe ich in einem spiegel eigentlich mich oder nur ein bild von mir? und wenn ich den spiegel weglasse? platons höhlengleichnis erlebt gerade eine renaissance. lesen sie in der bild.

wenn ich mit sprache das herkömmliche zerbreche, bin ich dann der wirklichkeit näher? weil ich sie abbilde oder weil ich sie zerbreche? oder weil ich damit einfach eine neue wirklichkeit definiert habe? ist eine definition erst dann eine definition, wenn andere ihr zugestimmt haben? kunst! ein begriff. willkommen beim phänomen der masse. masse ist macht, sagt canetti. bilder bilden unser denken, unser handeln. wechselspiel in eine richtung. substantieller nihilismus. wohin ging eigentlich camus’ sisyphos? er wurde erschossen, nachdem er sich erhängt hat. und grinst sich täglich den felsen hinauf. wie georg trakl. ohne grinsen. aber genauso tot.

sie sehen, je mehr man erklären möchte, desto mehr fragen entstehen. ist es da nicht viel einfacher, ein gedicht zu schreiben?

ach, noch eine letzte frage habe ich an sie: wenn platon und watzlawick sich getroffen hätten, wäre eigentlich zwangsläufig nietzsche dabei herausgekommen?


(anke glasmacher, berlin 2001)